Justizminister Roman Poseck steht am Rednerpult im Bundesrat

Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik

Der Bundestag hat am 17. November 2023 beschlossen, dass Videokonferenztechnik künftig verstärkt in Zivil-, Verwaltungs-, Arbeits-, Finanz- und Sozialgerichten eingesetzt werden soll. In der heutigen Bundesratssitzung beraten die Länder über das Gesetz, das zahlreiche verfahrensrechtliche Vorgaben enthält.

Hessens Justizminister Roman Poseck führte dazu aus: „Der Einsatz von Videokonferenztechnik gehört zu einer modernen, digitalen und bürgernahen Justiz. Schon jetzt eröffnen die Prozessordnungen die Möglichkeiten, Videokonferenzen in Gerichtsverhandlungen einzusetzen. Gerade während der Coronapandemie haben Richterinnen und Richter oft Videoverhandlungen durchgeführt. Die Praxis hat sich bewährt und gezeigt, dass Richterinnen und Richter im freien richterlichen Ermessen in der Regel sachgerecht und verantwortungsbewusst entscheiden, wenn es um die Frage geht, ob eine Verhandlung in Präsenz oder per Video sinnvoll ist.

Das Gesetz soll ihnen nun diese Entscheidungsgewalt nehmen. Der Gesetzentwurf sieht derzeit vor, dass das Gericht eine Videoverhandlung durchführen soll, wenn nur eine Partei dies beantragt. Will das Gericht in Präsenz verhandeln, muss es dies schriftlich begründen, obwohl seine Entscheidung unangreifbar ist. Dies ist eine unangemessene Einschränkung des Spielraums der Richterinnen und Richter und kommt einer Gängelung unserer Gerichte gleich.

Organisatorische und logistische Herausforderungen

Die Gestaltung des Verfahrens muss auch weiter in den Händen der Richterinnen und Richtern verbleiben. Sie beurteilen nach der aktuellen Rechtslage aus guten Gründen, ob eine Videoverhandlung der richtige Weg ist, wobei sie die Besonderheiten des Verfahrens und die Interessen beider Parteien einbeziehen. Es ist nicht sachgerecht, dass es in der Hand nur einer Partei liegen soll, regelhaft eine Videoverhandlung zu veranlassen. Das vorgesehene Begründungserfordernis schafft zudem unnötige Mehrarbeit für die stark belasteten Gerichte. Es ist überdies nicht sachgerecht, die Richterinnen und Richter einem Rechtfertigungszwang aussetzen, wenn sie eine Verhandlung vor Ort für sinnvoll erachten.

Die im Bundestagsverfahren zuletzt eingefügten Regelungen zur vollvirtuellen Verhandlung begegnen überdies erheblichen Bedenken. Die mögliche Verhandlungsführung durch das Gericht aus dem Homeoffice - im Extremfall vom heimischen Sofa aus - wird Bedeutung und Würde gerichtlichen Handelns nicht gerecht. Insoweit droht ein Ansehensverlust der Justiz.

Die Regelungen stellen die Länder zudem vor erhebliche organisatorische und logistische Herausforderungen. Denn sie sollen nicht mehr nur im Rahmen einer „Experimentierklausel“, sondern deutschlandweit flächendeckend gelten und das bereits einen Tag nach Verkündung des Gesetzes. Das wird so nicht funktionieren. Es gibt ungeklärte technische, organisatorische und rechtliche Fragen, wie die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gerichtsöffentlichkeit bei einer vollvirtuellen Verhandlung umgesetzt werden können. Die Klärung dieser Vorgaben braucht in jedem Fall einen längeren Vorlauf.

Interessen der Gerichtspraxis und der Länder missachtet

Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt einmal mehr, dass der Bund in der Justizpolitik die Interessen der Gerichtspraxis und der Länder missachtet. Die Gerichte laufen Sturm gegen das Vorhaben. Die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs haben sich klar und mit ausführlicher Begründung dagegen positioniert. Praktikerinnen und Praktiker sollten von der Politik als wichtige Ratgeber ernst genommen werden. Sie können die konkreten Auswirkungen eines Gesetzes beurteilen. Es ist falsch, dass der Bund das Votum der Praxis inzwischen regelmäßig ignoriert und in vielen Fällen das vollständige Gegenteil zum Votum der Justizpraxis umsetzt.

Wir wollen eine digitale und moderne Justiz, aber dieses Gesetz ist der falsche Weg. Es ist unausgewogen, unpraktikabel, bedeutet einmal mehr einen Misstrauensbeweis gegenüber der Richterschaft sowie eine Mehrbelastung für die Justiz.

Ich rechne damit, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufen wird. Dabei bin ich fest davon überzeugt, dass sich in einem Vermittlungsverfahren zügig Lösungen finden lassen und am Ende ein gutes Ergebnis stehen wird, das den Interessen aller gerecht wird und die Modernisierung der Justiz sinnvoll nach vorne bringt.“

Im Anschluss an die Rede des Ministers hat der Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel einer grundlegenden Überarbeitung einstimmig beschlossen. 

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