Der Rechtsausschuss des Bundesrats hat dem Bundesrat heute die Annahme der angepassten hessischen Gesetzesinitiative zur Einführung einer besonderen Verfahrensgebühr für „Vielkläger“ im sozialgerichtlichen Verfahren empfohlen. Mit der Initiative hat Hessen einen Hilferuf aus der Praxis der Sozialgerichtsbarkeit aufgegriffen. Ziel des Gesetzes ist es, dem missbräuchlichen Verhalten einzelner Klägerinnen und Kläger entgegenzutreten, die die Sozialgerichte mit einer Vielzahl aussichtsloser Verfahren überziehen. Die Verfahren vor den Sozialgerichten sind derzeit für Individualparteien gerichtsgebührenfrei.
Während in der ersten Fassung des Gesetzesentwurfs zehn Verfahren in zehn Jahren kostenfrei sein sollten, hat der hessische Änderungsantrag Rückmeldungen aus der Praxis anderer Bundesländer aufgegriffen und die Definition des „Vielklägers“ angepasst. Demnach sollen zehn Verfahren innerhalb von drei Kalenderjahren kostenfrei bleiben. Außerdem werden die bei Klageerhebung bereits mit einem (Teil-)Erfolg abgeschlossenen Verfahren nicht zulasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt.
Plenum entscheidet am 05. März
Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann erklärte: „Kernelement des sozialen Rechtsstaats ist es, dass jede Bürgerin und jeder Bürger Rechtsschutz vor den Sozialgerichten suchen kann. Es ist besonders wichtig, dass diese Klagen grundsätzlich kostenfrei sind. Niemand sollte davon abgehalten werden, seine Anliegen bei einem Sozialgericht vorzutragen, weil es am Geld fehlt. Die Grenze ist jedoch dann erreicht, wenn Einzelne diese Rechtsschutzmöglichkeit ausnutzen, und damit andere, die berechtigte Interessen verfolgen, zurückstecken müssen. Der erste Entwurf aus Hessen sollte eine erste Diskussionsgrundlage sein. Sehr dankbar bin ich für die zahlreichen Rückmeldungen, die wir von Praktikern aus anderen Ländern, unter anderem in einem digitalen Fachsymposium, bekommen haben.“
Mit der Empfehlung des Rechtsausschusses wird das Plenum des Bundesrats am 5. März über die Neufassung der hessischen Initiative entscheiden.
Eva Kühne Hörmann sagte abschließend: „Der geänderte hessische Antrag greift die Anmerkungen aus der Praxis auf und führt zu gerechteren Ergebnissen. Mit der Neufassung wahren wir die Balance zwischen der Wahrung des sozialen Rechtsstaats auf der einen Seite und dem Schutz der Ressource ‚Rechtsstaat‘ auf der anderen Seite. Ich freue mich, wenn wir Unterstützer für unsere Initiative bekommen, damit das Gesetz im Bundesrat eine Mehrheit findet.“
Zum Hintergrund
Vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2019 gingen beim Hessischen Landessozialgericht insgesamt 29.718 Verfahren ein. Davon wurden 5.843 Verfahren von nur 140 der Kostenfreiheit im Sozialgerichtsprozess unterliegenden Klägerinnen und Klägern (Versicherte, Leistungsempfänger und Menschen mit Behinderung), die in diesem Zeitraum jeweils 10 oder mehr Verfahren angestrengt haben, geführt. Das entspricht einem Anteil von fast 20 % aller im genannten Zeitraum geführten Verfahren, während die betreffenden Vielklägerinnen beziehungsweise Vielkläger nur einen Anteil von nicht einmal 1 % der Gesamtzahl der Rechtsschutzsuchenden ausmachen. Ein Kläger hat allein im Jahr 2019 250 (zweitinstanzliche) Verfahren vor dem Landessozialgericht angestrengt – die Verfahren erster Instanz nicht mitgerechnet.
Im gleichen Zeitraum von Anfang 2010 bis Ende 2019 sind beim Hessischen Landessozialgericht 29.487 Verfahren (alle Verfahren mit der Vergabe eines eigenen Aktenzeichens) erledigt worden. Dabei wurden 4.083 der 19.683 vollständig erfolglosen Verfahren von nur 112 kostenprivilegierten Klägern, die in diesem Zeitraum jeweils bereits mindestens neun erfolglose Verfahren geführt hatten, angestrengt. Das entspricht einem Anteil von fast 14 % aller Verfahren und einem Anteil von mehr als 20 % aller erfolglosen Verfahren.
Der Gesetzesentwurf soll dazu beizutragen, die Ressourcen der Justiz zweckentsprechend einzusetzen. Dazu sollen diejenigen Verfahren, denen kein nachvollziehbares Begehren zugrunde liegt, reduziert werden, da die Belastung der Gerichte mit diesen Klagen enorm ist. Eine Eindämmung der beschriebenen Klageserien würde zu einer deutlichen Entlastung von Richtern und Serviceeinheiten auch deshalb führen, weil in den meisten Fällen die Beteiligten kaum noch in der Lage sind, die Vielzahl der von ihnen geführten Verfahren zu überblicken und durch eine Vielzahl von Folgeeingaben gerade die Serviceeinheiten erheblich beschäftigen.