Im Pariser Hoftheater in Wiesbaden kamen Vertreter der Vertriebenen- und Spätaussiedlerverbände, Parlamentarier sowie zahlreiche Gäste zusammen, um die diesjährigen Preisträger zu ehren.
Innenminister Roman Poseck betonte in seiner Rede die Bedeutung des Landespreises: „Der Hessische Preis ‚Flucht, Vertreibung, Eingliederung‘ würdigt alle zwei Jahre wissenschaftliche, literarische und kulturelle Arbeiten, die sich mit den Erfahrungen von Flucht, Vertreibung, Deportation und Eingliederung oder mit der Kultur der Heimatgebiete auseinandersetzen. Der diesjährige Landespreis widmet sich der Erinnerung an Flucht und Vertreibung vor achtzig Jahren. Leider ist das Thema heute aktueller denn je. In Europa herrscht wieder Krieg. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine seit fast vier Jahren bringt tägliches Leid über die Ukrainer. Menschen werden getötet, verletzt und müssen aus ihrer Heimat fliehen. Ich hoffe sehr, dass dieser brutale völkerrechtswidrige Angriffskrieg bald ein Ende findet. Klar ist aber auch, dass ein Diktatfrieden nicht das Ziel sein darf.
Mit der Verleihung des Landespreises halten wir die Erinnerung für kommende Generationen lebendig und mahnen zu Verantwortung und Versöhnung. Wir dürfen die Biografien und Erfahrungen der Menschen nicht vergessen, sondern müssen die Erinnerung wachhalten. Das ist auch ein wichtiger Teil der notwendigen Erinnerungskultur und gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass es immer weniger Zeitzeugen gibt, die unmittelbar über ihre Erfahrungen berichten können.
Ich danke allen Bewerbern für ihre interessanten Beiträge und gratuliere den diesjährigen Preisträgern. Ihre Arbeiten zeigen eindrucksvoll, wie lebendig das Engagement für die gemeinsame Erinnerungskultur in Hessen ist. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung der kulturellen Vielfalt und zur Verständigung in unserer Gesellschaft. Dafür spreche ich Ihnen meinen herzlichen Dank und meine Anerkennung aus.“
Hauptpreis
Den Hauptpreis des im zweijährigen Turnus vergebenen Landespreises erhielt Lena Wolf für ihre Graphic Novel „Möge die Welt Dein Zuhause sein“. Auf 194 Seiten erzählt sie anhand der eigenen Familiengeschichte – einer Familie deutscher Herkunft, die über die Ukraine und Kasachstan nach Deutschland kam – eindrucksvoll von Flucht, Verlust, Ankommen und Identität. Ihre künstlerisch anspruchsvolle Arbeit verbindet persönliche Erinnerungen mit kollektiven Erfahrungen und macht diese einer breiten Leserschaft zugänglich. Sie erhält hierfür ein Preisgeld in Höhe von 3.000 Euro.
Zweiter Preis
Der zweite Preis ging an Michael Rudolf und Dr. Monika Hölscher, Herausgeber des Buches „Flucht und Vertreibung in den Alsfelder Raum – Erinnerungen bewegen noch immer“. Das Werk dokumentiert ein mehrjähriges Schulprojekt der Albert-Schweitzer-Schule in Alsfeld, das in enger Zusammenarbeit mit Politik und Bürgerschaft entstand. Schüler führten Zeitzeugeninterviews, werteten Materialien aus und setzten sich intensiv mit historischen Hintergründen auseinander. Die langjährige Projektarbeit und der partizipative Ansatz sind beispielgebend. Beide erhalten gemeinsam ein Preisgeld von 1.500 Euro.
Dritter Preis
Mit dem dritten Preis wurden vier Beiträge ausgezeichnet: Der Landesverband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V. wird ausgezeichnet für seine generationenübergreifende Verbandsarbeit anlässlich des 75-jährigen Jubiläums. Der hessische Landesverband der Siebenbürger Sachsen beging in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen mit einer Reihe von Aktivitäten, darunter kulturhistorische Veranstaltungen, Publikationen, Ausstellungen, sowie der Erarbeitung einer digitalen Chronik. Das Projekt stellt weniger eine Einzelarbeit als vielmehr ein Bündel an öffentlichkeitswirksamen Projekten und Veranstaltungen von der Erlebnisgeneration bis hin zur Bekenntnisgeneration dar, das auf die jahrzehntelange Arbeit des Verbandes zur Bewahrung und Vermittlung siebenbürgisch-sächsischer Geschichte, Kultur und Erinnerung hinweist.
Kuno Kutz und die Kreisgruppe Wetzlar der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen (LOW). Die Kreisgruppe Wetzlar der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen besteht seit 1948. Unter der Leitung von Kuno Kutz, der den Vorsitz 2002 übernahm, wird eine kontinuierliche und vielfältige Kulturarbeit geleistet. Diese besteht insbesondere in einem öffentlich zugänglichen Vortragsprogramm zu Themen der ostdeutschen Geschichte, Vertreibung, Integration sowie der kulturellen Vielfalt der ehemaligen deutschen Ostgebiete.
Nelly Neuhaus und das Chorprojekt Rjabinuschki & Kalyna - Brücken der Erinnerung: Musik als Heimat und Hoffnung. Das Projekt verbindet musikalische Traditionen von Deutschen aus Russland, der Ukraine und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit aktuellen Fragen von Erinnerung, Integration und kultureller Identität. In einem zweisprachigen Ensemble singen junge und ältere Spätaussiedler, Flüchtlinge und Zugewanderte Lieder aus ihren Herkunftsregionen – unter Einbeziehung ihrer jeweiligen Eingliederungs- und Vertreibungserfahrungen.
Ira Peter mit ihrem Buchprojekt „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“ – ein Buch, das bewegt und wichtige Fragen stellt. Es geht um Identität, Herkunft, Zugehörigkeit und Verständnis. Die Autorin, selbst Russlanddeutsche, verbindet dabei persönliche Reflexionen mit journalistisch recherchierten Fallgeschichten und ordnet diese in erinnerungskulturelle sowie gesellschaftspolitische Kontexte ein.
Alle dritten Preisträger erhalten jeweils ein Preisgeld von 750 Euro.
Landesbeauftragter Andreas Hofmeister hob abschließend hervor: „Der Preis soll ins Gedächtnis rufen, dass rund ein Drittel aller in Hessen lebenden Bürger entweder Flucht und Vertreibung selbst erlebt hat, durch das Schicksal der nächsten Angehörigen davon betroffen ist oder als (Spät-)Aussiedler hier lebt. Die Geschichte der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler ist ein lebendiges Erbe und ein wertvoller Teil unserer gemeinsamen hessischen Identität. Es sind die Menschen mit Ihren Geschichten, ihrer Kultur und ihren Traditionen, die unser Kulturland Hessen prägen und mit Leben füllen. Gemeinsam tragen wir Verantwortung dafür, an Flucht und Vertreibung zu erinnern, dieses kulturelle Erbe zu bewahren und es in eine friedliche Zukunft weiterzutragen. Besonders freut es mich, wenn junge Menschen sich mit diesem Kapitel deutscher Geschichte auseinandersetzen und damit dazu beitragen, dieses bedeutende Kulturgut zu erhalten – denn: Zukunft braucht Herkunft.“
Achte Auszeichnung mit dem Landespreis
Im Jahr 2010 hat das Land Hessen den Landespreis „Flucht, Vertreibung, Eingliederung“ aus Anlass des 60. Jahrestages der Verkündung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen gestiftet. In diesem Jahr stand die achte Verleihung des Landespreises unter dem thematischen Schwerpunkt „Achtzig Jahre Flucht und Vertreibung – Einsatz für Frieden, Demokratie und Menschenwürde – ‚Nie wieder‘ Krieg, Völkerhass und Vertreibungen“. Besonders im Fokus standen Projekte, die sowohl die Erlebnis- als auch die Bekenntnisgeneration einbeziehen. Insgesamt gingen elf Bewerbungen ein.