Innenminister Peter Beuth hat heute gemeinsam mit Andreas Röhrig, Präsident des Hessischen Landeskriminalamts, sowie zwei Vertretern der Kreditwirtschaft, die an der ALLIANZ GELDAUTOMATEN mitwirken, Prof. Dr. Sascha Ahnert, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Darmstadt, und Michael Baumann, Vorstandsmitglied der Nassauischen Sparkasse, bereits ergriffene Maßnahmen dargestellt und einen Ausblick auf die weiteren Schritte im Kampf gegen organisierte Geldautomaten-Sprengungen gegeben.
„In Deutschland vergeht derzeit leider kaum eine Woche, in der nicht ein Geldautomat gesprengt wird. Skrupellose Geldautomatensprenger jagen seit Monaten durch die Bundesrepublik und hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Die hessische Polizei hält mit offenen wie verdeckten Maßnahmen den Fahndungsdruck länderübergreifend hoch. Zusätzlich haben wir mit der Einrichtung der ALLIANZ GELDAUTOMATEN genau vor einem Jahr eine bundesweit vorbildgebende Initiative ins Leben gerufen. Wir haben bewusst auf einen Schulterschluss mit der Kreditwirtschaft gesetzt, um die Investitionen in hilfreiche Präventionsmaßnahmen, wie Verklebungs-, Vernebelungs- oder Verfärbetechniken in den Geldautomaten zu befördern – mit Erfolg: Die kooperierenden Banken haben seither bereits knapp sechs Millionen Euro in Präventionsmaßnahmen investiert. Jeder derart gesicherte Geldautomat trägt dazu bei, den Sprengern die Tatmöglichkeiten zu nehmen“, so Hessens Innenminister Peter Beuth.
Gemeinsame Prävention mit Bankenwirtschaft durch ALLIANZ GELDAUTOMATEN
Im Mai 2022 wurde die bundesweit einmalige Präventionsinitiative ALLIANZ GELDAUTOMATEN durch das Hessische Innenministerium mit hessischen Banken gegründet, die in Wiesbaden mit einer Gründungsurkunde besiegelt wurde. Die 15 Gründungsmitglieder der Allianz erklärten sich bereit, den Ausbau präventiver Elemente an erkannten Risiko-Standorten zu priorisieren. Mittlerweile ist der gemeinsame Arbeitskreis auf insgesamt 56 Mitglieder-Banken angewachsen. Die hessische Allianz stand Pate für den sogenannten „Runden Tisch Geldautomatensprengungen“ des Bundesministeriums des Innern.
„Letztlich wird der ‚Bankraub 2.0‘ nur beendet werden können, wenn die Täter durch die verheerenden Sprengungen nicht mehr an nutzbares Geld kommen. In den Niederlanden hat die flächendeckende Einführung von entsprechenden Schutztechniken in den Geldautomaten, das Phänomen gänzlich verdrängt. Es zeichnet sich nun auch in Deutschland ab, dass bei der nächsten Innenministerkonferenz allseits für eine Verpflichtung der Banken zum Einbau von entsprechender Schutz-Technik votiert wird. Aktuell fallen auch jene Banken den Sprengern zum Opfer, die bereits in Präventionstechnik investiert haben. Die Täter erbeuten dann zwar kein Geld, sie bringen aber dennoch Anwohner in Gefahr und hinterlassen immense Schäden. Aus diesem Grund führen wir einen neuen Hinweis-Aufkleber ein, der von der Polizei an jenen Automaten angebracht wird, die bereits über neue Sicherheitstechnik verfügen. Der Aufkleber signalisiert den Sprengern, dass hier kein Geld zu holen ist und ihnen eine Sprengung nichts einbringt“, so Innenminister Peter Beuth.
Risikoanalyse, gemeinsame Präventionsstrategien und Testsprengungen
Im Rahmen der ALLIANZ GELDAUTOMATEN unterzieht das Hessische Landeskriminalamt (HLKA) die Geldautomaten der kooperierenden Kreditinsitute einer Riskoanalyse und berät bei der Entwicklung von individuellen Präventionslösungen. Gleichzeitig werden gemeinsame Testsprengungen mit Sprengspezialisten des HLKA durchgeführt, um neue Sicherheitsmaßnahmen einer realistischen Härteprobe zu unterziehen. Die in der ALLIANZ GELDAUTOMATEN mitwirkenden Kreditinsitute hatten sich bereiterklärt, den Ausbau präventiver Elemente an erkannten Risiko-Standorten zu priorisieren. Zu diesen Maßnahmen gehören beispielsweise Nachtverschluss, Videoüberwachung, Nebeltechnik oder etwa die Verwendung von Einfärbe- oder Verklebetechniken, die im Fall einer Sprengung das im Automaten befindliche Bargeld einfärben bzw. verkleben und so unbrauchbar machen.
„Geldautomaten sind ein wichtiges Service-Element, um unseren Kundinnen und Kunden einen bestmöglichen Zugang zu Bargeld zu ermöglichen. Als Sparkasse Darmstadt bieten wir an 39 Standorten diesen Service an. Im Geschäftsjahr 2022 gab es an unseren 73 Geldautomaten mehr als 3,5 Millionen Transaktionen. Hier sind wir uns der Risiken und der Verantwortung gegenüber unseren Kundinnen und Kunden und der Bürger unseres Geschäftsgebietes bewusst. Um den modernen Bankraub der skrupellosen Geldautomatensprenger zu begegnen, haben wir Nachtschließzeiten sowie Alarm- und Präventionstechnik in den Geldautomaten und SB-Foyers installiert und werden diese auch weiter ausbauen. Auf Basis der Gefährungsanalyse des HLKA pilotieren wir aktuell die Vernebelungstechnik. Diese präventive Maßnahme hat den Vorteil, dass die Täter aufgrund fehlender Sicht nicht in der Lage sind, eine Sprengladung zu platzieren“, sagte Prof. Dr. Sascha Ahnert, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Darmstadt.
„Wir haben nach erfolgter Risikoanalyse durch das LKA bereits verschiedene Präventionsmaßnahmen an unseren Standorten umgesetzt. So hat die Nassauische Sparkasse den Nachtverschluss bereits an der Mehrzahl der knapp 100 Standorte eingeführt. Zudem rüsten wir unsere Geldautomaten in 2023 sukzessive mit Farbsystemen auf. Der automatische Nachtverschluss inklusive Einbruchsalarm, Aufschaltung eines Sicherheitsdiensts mit Live-Einsichtnahme und Ansprache über Lautsprecher sowie die Einfärbesysteme sind für nahezu alle Standorte in Umsetzung. Weiterhin erfolgt ein sukzessiver Austausch der Geräte in die höchste Schutzklasse. In diesem Jahr investieren wir 1,7 Millionen Euro in Maßnahmen zur Gefahrenabwehr“, so Michael Baumann, Vorstandsmitglied der Nassauischen Sparkasse (Naspa).
Risikoanalysetool „GLB-operativ“: Über 50 Prozent aller hessischen Automaten analysiert
Das vom HLKA entwickelte Risikoanalysetool „Geldautomatenlagebild (GLB)-operativ“ unterzieht alle Geldautomaten, die mit qualitativen Daten (wie Standort, Fabrikat, Sicherheitsvorkehrungen) hinterlegt sind, einer Risikobewertung. Faktoren, die in die Risikobewertung miteinfließen, sind standortbezogen unter anderem die verkehrstechnische Anbindung (insbesondere die Autobahnnähe) oder bereits erfolgte Angriffe auf Geldautomaten in räumlicher Nähe. Auch das Fehlen oder Vorhandensein wirksamer Sicherungselemente wie beispielsweise der Nachtverschluss, Vernebelungs- oder Einfärbe- bzw. Verklebetechnik fließt in die Risikobewertung mit ein.
„Über 40 Banken haben dem HLKA qualifizierte Daten zu den über 4.400 Geldautomaten an rund 2.700 Standorten in Hessen zugeliefert. Alle haben daraufhin von uns eine durch das HLKA erstellte qualifizierte Risikoanalyse erhalten. Damit haben wir mittlerweile bereits etwa 50 Prozent aller hessischen Geldautomaten erfasst und durch unsere Analyse-Software in die polizeiliche Bewertung einfließen lassen und gezielte Präventionsmaßnahmen anstoßen können. Zugleich haben wir umfangreiche Fahndungskonzepte und länderübergreifende Kontrollmaßnahmen entwickelt. Mit diesem Mix aus präventiven und repressiven Maßnahmen erzielen wir konkrete Erfolge: Beispielhaft hierfür steht etwa die Festnahme von drei Tatverdächtigen im März 2022 im mittelhessischen Ober-Mörlen. Im Zuge der weiteren Ermittlungen konnten unsere Experten feststellen, dass die Täter offenbar drei Geldautomaten in Hessen sprengen wollten. Alle drei Automaten wurden von unserem Analysetool als besonders gefährdet bewertet. Ebenso gingen die am vergangenen Wochenende erfolgten Festnahmen auf umfangreiche Fahndungsschritte zurück, mit denen wir die flüchtenden Täter erfolgreich stoppen konnten“, erklärte Andreas Röhrig, Präsident des Hessischen Landeskriminalamtes.
Hessische Polizei begegnet Geldautomatensprengern mit BAO effectus: 50 Tatverdächtige und 20 Verurteilungen
Bereits im Frühjahr 2019 wurde im HLKA eine eigens zur Bekämpfung von Geldautomatensprengungen eingerichtete Ermittlungsgruppe geschaffen, die im Mai 2022 zur sog. „Besonderen Aufbauorganisation (BAO) effectus" mit sieben Regionalabschnitten in den hessischen Polizeipräsidien erweitert wurde. Darüber hinaus werden in Hessen Ermittlungsverfahren wegen Geldautomatensprengungen zentral bei der Generalstaatsanwaltschaft (GStA) Frankfurt am Main bearbeitet. Durch intensive Ermittlungen ist es seither dem HLKA und den Polizeipräsidien gelungen, insgesamt mehr als 50 Tatverdächtige zu ermitteln. Über 20 Personen konnten bislang rechtskräftig verurteilt werden.
Deutschlandweiter Anstieg der Sprengungen von Geldautomaten
Das Bundeskriminalamt verzeichnete deutschlandweit 414 Sprengungen im Jahr 2020 und 392 Taten im Jahr 2021 sowie 494 im Jahr 2022. Dies sind die höchsten Fallzahlen seit Aufnahme dieses Deliktes in die Polizeiliche Kriminalstatistik im Jahr 2005. Dieser Trend setzt sich in großen Teilen der Bundesrepublik auch im Jahr 2023 fort. In Hessen gab es im laufenden Jahr 23 Fälle (Vorjahreszeitraum: 13 Fälle) von Automatensprengungen – davon konnte in 5 Fällen dank entsprechender Präventionstechnik kein Geld erbeutet werden. Die aktuelle Diebstahlsumme liegt 2023 bei mehr als 1,9 Millionen Euro. Hinzu kommen Sachschäden von mehr als 2,5 Millionen Euro.
Täter sind Teil international agierender organisierter Kriminalität
Die Täter reisen größtenteils für die Begehung von Geldautomatensprengungen in Deutschland aus den benachbarten Niederlanden ein und werden dort international agierenden Gruppierungen der organisierten Kriminalität zugerechnet. Den Tätern kommt es vordergründig darauf an, schnell und unkompliziert die Tatorte anzufahren und nach der Tat mit hochmotorisierten Fahrzeugen zu flüchten. Ein lokaler oder regionaler Schwerpunkt der Tatbegehungen innerhalb von Hessen lässt sich nicht ableiten. Von den Geldautomatensprengungen waren in der Vergangenheit alle sieben hessischen Polizeipräsidien betroffen. Deutschlandweit zeigt sich ein Schwerpunkt in den westlichen Bundesländern, die schnelle Verbindungsrouten in Richtung Niederlande haben.
Länderübergreifende Zusammenarbeit
Im Dezember 2022 haben sich mehrere Bundesländer in einer „länderübergreifenden Interessengemeinschaft Geldautomaten“ (LIGA) zusammengeschlossen, um diesem Kriminalitätsphänomen konzertiert entgegenzutreten. Durch starke Polizeipräsenz und zielgerichtete offene sowie verdeckte Maßnahmen sollen so potentielle Tätergruppen ermittelt werden. Im Rahmen dieser länderübergreifenden Zusammenarbeit der Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erfolgten bereits 3 Kontrollmaßnahmen, sog. Action-Days, die im Jahr 2023 von weiteren Großkontrollen der hessischen Polizei ergänzt wurden. So etwa am 16.03.2023 und am 28.04.2023 als jeweils mehr als 400 Polizisten auf der A3 im Einsatz waren, um den Fahndungsdruck auf die Sprenger hochzuhalten.