Rückseite der Wilhelm Leuschner-Medaille mit dem stilisierten „Hessenlöwen“ aus der Zeit Landgraf Philipp des Großmütigen.

Formen und Gestaltungsvarianten des hessischen Löwen

Wappen sind ihrem Wesen nach auch Kunstwerke. Sie sind somit grundsätzlich dem Zeitge­schmack unterworfen. Dies trifft selbstredend auch auf die Darstellung des Löwen als zen­tralem Bestandteil des hessischen Wappens zu.

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Abgedeckt wird dieser Gestaltungsspielraum von der so genannten „heraldischen Freiheit“. Sie lässt – innerhalb der Grenzen des grund­legend vorgegebenen Wappenbildes – eine gewisse Kreativität bzw. Individualität zu.

Für den hessischen Löwen gilt als heraldische Normalstellung aufrecht (steigend bzw. „zum Grimmen geschickt“). Dabei ist die rechte Pranke erhoben und die Zunge vorgestreckt. Inner­halb dieser graphischen Vor­gabe existiert der Löwe jedoch über die Jahrhunderte hinweg in verschiedenen zeitgenössischen Gestaltungsvarianten, die nicht zuletzt aus der Abhängigkeit zu den sich wandelnden Schildformen resultieren. Im 13. Jahrhundert dominierte die fast aufrechte Darstellung des Löwen – in der Längsachse des Schildes – mit einem schlanken Körper und stark aus­geprägtem Schweif. Die großen (gotischen) Dreieckschilde, auf denen der Löwe aufgemalt wurde, definierten hierfür die Form.

Als dann im 14. und 15. Jahrhundert die Schilde kleiner wurden, dafür aber die Breite zunahm und die Spitze gekürzt wurde, galt es, das durch die Schildverbreiterung entstandene Raumangebot zu füllen. Folglich wurden die Löwen voluminöser dargestellt. Der Körperhaltung des Löwen wird weniger aufrecht (eher „schlangenlinienförmig“), die Körperachse häufiger waagerecht verschoben und die hinteren Gliedmaßen beinahe vorgestreckt gestaltet. Deutlich sichtbar wird diese Entwicklung etwa beim sogenannten „Philipps-Löwen“, d.h. dem hessischen Löwen während der Re­gierungszeit Landgraf Philipps des Großmütigen in der Mitte des 16. Jahrhunderts. An dieser Form sich orientierend, ziert der hessische Löwe bis heute die Rückseite der 1964 gestifteten Wilhelm Leuschner-Medaille als der höchsten Auszeichnung des Landes Hessen.

Aber auch der Schweif des Löwen unterliegt seit dem ausgehenden Mittelalter einer Ver­änderung. Er erhält eine in der Regel nach außen (bis dahin prinzipiell nach innen) ge­krümmte Form, um den zusätzlichen Platz innerhalb des Schildes besser auszufüllen. Diese Entwicklung, die auf eine Flächenwirkung des Löwen ausgerichtet ist, setzt sich konsequent bis in die Zeit der Renaissance und des Rokoko fort.

Aber nicht nur die Haltung und Position des Löwen verändern sich im Laufe der Zeit. Auch einzelne Gliedmaßen des Löwen unterliegen einem gestalterischen Wandel. So werden die Pranken immer feingliedriger und die Mähne zusehends natürlicher wieder­gegeben. Auch der Löwenschweif erfährt eine variable Darstellungsweise. Während der Schweif im Hoch­mittelalter konsequent in einfacher Form vorkommt, tritt er seit dem 15. Jahrhundert häufiger gespalten als Doppelschweif auf. Sogar „Dreifach-Schweife“ sind als barocke Ausformungen nachweisbar. Dabei hat die Vermehrung des ursprünglich einfachen Schweifs keine zusätz­liche politische Aussagekraft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass hier ein missverstandener schnörkelhafter oder verknoteter Schweif zu einem Doppelschweif umgewidmet wurde, wie er dann seit dem 17. Jahrhundert grundsätzlich beim hessischen Löwen anzutreffen ist. Zu dieser Entwicklung gehört auch die für den Löwen erfolgte spätere Beigabe von ver­schiedenen Rangkronen und Würdezeichen, insbesondere seit Beginn des 19. Jahrhunderts.

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