Ministerpräsident nach dem Krieg

Es war für viele eine Überraschung, als der Sozialdemokrat Christian Stock am 20. Dezember 1946 zum hessischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Es hatte aussichtsreichere Kandidaten gegeben, aber nur Stock war geborener Hesse und ein altgedienter Sozialdemokrat, der auch während der NS-Zeit seine Partei nicht im Stich gelassen hatte.

Karriere als Gewerkschaftsfunktionär

An der Wiege wird ihm niemand seine große politische Zukunft prophezeit haben. Denn Stock kam am 28. August 1884 als (uneheliches) Kind eines Zigarrenmachers in Darmstadt zur Welt. Und er wurde auch, nach wenigen Jahren auf der Volksschule, Zigarrenmacher. Aber der Ehrgeiz packte ihn. Er wollte nicht nur arbeiten, sondern auch für die Rechte der Arbeiter kämpfen, und nutzte jede Gelegenheit, sich fortzubilden. 1901 trat er dem Tabakarbeiter-Verband bei und 1902 der SPD. Sein politisches Talent wurde entdeckt, und er machte schnell Karriere als Gewerkschaftsfunktionär und in der SPD. So gehörte er 1919 als gewählter Vertreter Badens der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung in Weimar an und arbeitete auf Wunsch Friedrich Eberts 1920 im Reichswehrministerium, um nach dem Kapp-Putsch einen weiteren Umsturzversuch von rechts verhindern zu helfen. 1922 wurde er Direktor der AOK Heidelberg und 1932 Direktor des Landesverbands der Krankenkassen in Hessen.

Als politischer ‚Schutzhäftling‘ im Konzentrationslager

Als prominenter Sozialdemokrat musste er 1933 sein Amt aufgeben und wurde als politischer ‚Schutzhäftling‘ im Konzentrationslager Kislau bei Bruchsal interniert. Erst im März 1934 kam er wieder frei und schlug sich zunächst als Vertreter durch, dann eröffnete er in Darmstadt einen Tabakladen, der zum geheimen Treffpunkt der unterdessen konspirativ arbeitenden Sozialdemokraten wurde. Nach Kriegsende konnte Stock an seine Karriere vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten anknüpfen. Er wurde als Direktor der AOK Frankfurt eingesetzt und übernahm schon wenig später die Leitung der Landesversicherungsanstalt Hessen.

Verdienste in Verfassungsberatender Landesversammlung

Erst mit der Wahl in die Verfassungsberatende Landesversammlung Ende Juni 1946 meldete sich Stock als SPD-Politiker zurück. Dass die Verfassung mit den Stimmen der SPD, der CDU und der KPD verabschiedet wurde, war, wie sein Biograph Walter Mühlhausen schreibt, „ein persönlicher Erfolg Stocks“, der geschickt zwischen den verschiedenen Parteien vermittelt hatte. „Mitbestimmung, Sozialisierung und Streikrecht waren verankert, die Aussperrung verboten; es gab einen 12-tägigen Mindesturlaub und den Achtstundentag. Die Verfassung garantierte Schul- und Lernmittelfreiheit, was Stock, dem in seiner Jugend aus finanziellen Gründen die weiterführende Schulausbildung versagt geblieben war, noch am Lebensende als eine besondere Errungenschaft hervorhob.“ Zwar konnten nicht alle Punkte so wie gedacht realisiert werden – die Sozialisierung wichtiger Betriebe wurde letztlich nicht durchgesetzt –, aber Stock hatte sich als Vermittler bewährt und für größere Aufgaben empfohlen.

Ministerpräsident einer großen Koalition

Insofern war es doch nicht so überraschend, dass er nach der Landtagswahl vom 1. Dezember 1946 zum Ministerpräsidenten einer großen Koalition aus SPD und CDU gewählt wurde. Stock war ein überzeugter Vertreter der Großen Koalition, die er zusammen mit dem CDU-Landesvorsitzenden und Finanzminister Werner Hilpert zum Erfolg führen wollte. Allerdings hatte er weiterhin mit der amerikanischen Militäradministration zu tun, die jedes Gesetzesvorhaben verhindern konnte. Unerwarteter Widerstand kam aus der SPD-Parteizentrale in Hannover. Denn in der sich bildenden Bundesrepublik verschärfte sich die Konfrontation zwischen SPD und CDU, die beide nach der Macht strebten. Eine gut funktionierende Große Koalition in Wiesbaden war da nicht gern gesehen. Zwar erzielte die SPD bei der Landtagswahl am 6. Dezember 1950 durch die Besonderheiten des hessischen Wahlrechts die absolute Mehrheit, aber Stock, der die Große Koalition gern fortgesetzt hätte, musste abtreten – trotz unbestrittener Erfolge in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auf Druck aus Hannover wurde der Bundestagsabgeordnete und frühere Justizminister Georg August Zinn zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Stock blieb politisch aktiv, allerdings nicht mehr in der ersten Reihe. Er starb am 13. April 1967 in Seeheim.